Sterbende haben oft anspruchslose Wünsche; sie wollen etwa den Universitätsabschluss einer Tochter oder einen bestimmten Feiertag noch miterleben. Dass solche Hoffnungen dem Kranken eine gewaltige Kraft geben können, belegt die medizinische Fachliteratur. Dort ist von Sterbenden die Rede, die entgegen den Erwartungen nicht nur bis zum ersehnten Augenblick weiterlebten, sondern auch erstaunlich optimistisch waren. Ärzte und viele Laien kennen Fälle von unheilbar Kranken, die ihre besten Prognosen um Wochen überlebten, um ein letztes Mal Weihnachten feiern oder einen lieben Angehörigen nach einer langen Reise noch einmal in die Arme schließen zu können. 

Was man daraus lernen kann, ist hinlänglich bekannt. Hoffnung ist nicht nur die Erwartung, dass man von einer Krankheit geheilt werden wird. Eine solche Erwartung wäre bei Sterbenden eine Illusion, die zur bitteren Enttäuschung würde; oft bleibt selbst der Wunsch nach Linderung der Leiden unerfüllt. Wenn meine Zeit kommt, werde ich Hoffnung aus dem Wissen schöpfen, dass man mir unnötige Schmerzen und sinnlose Versuche, meine Leiden zu verlängern, erspart. Hoffnung schöpfe ich auch aus der Gewissheit, dass ich im Sterben nicht allein gelassen werde. So versuche ich mein Leben schon jetzt so zu gestalten, dass die Menschen, denen ich etwas bedeute, von ihm profitieren und später tröstende Erinnerungen an das zurückbehalten, was wir füreinander bedeutet haben.

Sherwin B Nuland

Aus: Nuland, Sherwin B: Wie wir sterben : ein Ende in Würde? München: Kindler, 1994