Robert M. Pirsig:
Über die 
Wertstarrheit
(Die südindische Affenfalle)

 


Ich könnte alle möglichen Beispiele aus der Motorradwartung anführen, aber ich kann mir kein anschaulicheres Beispiel für Wertstarrheit denken als die alte südindische Affenfalle, deren Funktionsprinzip die Wertstarrheit ist. Die Falle besteht aus einer ausgehöhlten Kokosnuß, die an einen Pfahl angebunden ist. In die Kokosnuß kommt eine Handvoll Reis, nach dem der Affe durch ein kleines Loch greifen kann. Das Loch ist groß genug, daß er die Hand hineinstecken kann, aber zu klein, um die Faust mit dem Reis wieder herauszuziehen. Der Affe greift hinein und ist auf einmal in der Falle gefangen - aber nur wegen seiner Wertstarrheit. Er ist außerstande, den Reis neu zu bewerten. Er vermag nicht zu erkennen, daß Freiheit ohne Reis mehr wert ist als Gefangenschaft mit Reis. Die Dorfbewohner kommen, um ihn zu packen und fortzuschleppen. Sie kommen näher. . . immer näher. . . jetzt! Welchen allgemeinen Rat - keinen spezifischen, sondern welchen allgemeinen Rat würden Sie dem bedauernswerten Affen in dieser Zwangslage geben?

Nun, ich glaube, Sie könnten ihm genau das sagen, was ich über die Wertstarrheit gesagt habe, nur vielleicht mit etwas mehr Dringlichkeit. Es gibt eine Tatsache, die der Affe kennen sollte: Wenn er die Faust aufmacht, ist er frei. Aber wie soll er hinter diese Tatsache kommen? Indem er die Wertstarrheit aufgibt, die den Reis höher einschätzt als die Freiheit. Wie soll er das anstellen? Nun, er müßte irgendwie versuchen, bewußt langsamer zu treten und noch einmal durchzugehen, was er schon für erledigt hielt, um festzustellen, ob die Dinge, die er für wichtig hielt, wirklich so wichtig sind und. . . na eben aufhören, an der Kokosnuß zu zerren, und sie einfach nur eine Zeitlang anstarren. Und über kurz oder lang müßte er ein Rucken spüren, von einer kleinen Tatsache, die wissen will, ob er sich für sie interessiert. Er sollte versuchen, diese Tatsache weniger im Hinblick auf sein großes Problem zu verstehen als um ihrer selbst willen. Dieses Problem ist vielleicht gar nicht so groß, wie er denkt. Und auch die Tatsache ist vielleicht gar nicht so klein wie er denkt. Das sind in etwa die allgemeinen Informationen, die Sie ihm geben können.


Aus:
Robert M. Pirsig (1995): Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten. Fischer Verlag GmbH : Frankfurt am Main.
S.330 f (Org.: Zen and the Art of Motorcycle Maintenance. 1974, Bantam Press, New York)


Anmerkung
Der Pirsig begleitet mich seit beinahe 20 Jahren und hat meine Entwicklung nachhaltig beeinflusst. Ich weiß nicht, wie oft ich das Buch gelesen - und wie oft ich es gekauft habe: Verleiht man es, bekommt man es nicht zurück, verschenkt man es, erntet man in der Regel fragende Blicke: Zen? Motorrad? Was hat er jetzt wieder?